Rede antikapitalistische Raddemo am 1. Mai
Liebe Freund*innen, liebe Genoss*innen, liebe Menschen auf dem Platz der alten Synagoge,
Wir demonstrieren heute am 1. Mai, einem historisch kämpferischen und revolutionären Tag, den Tag der Arbeiter*innen und allen, die vom Kapitalismus unterdrückt werden, um auf die vielen Probleme unserer Gesellschaft aufmerksam zu machen und Lösungen gemeinsam, in Einheit und Zusammenschluss zu fordern.
Seit Ende des 19. Jahrhunderts ist der 1. Mai ein Mobilisierungstag der politischen Linken, um das staatliche und wirtschaftliche System in seiner Allgemeinheit zu kritisieren, zu hinterfragen und grundlegende soziale Forderungen zu stellen: für eine solidarische und selbstbestimmte Gesellschaft.
Die Corona-Pandemie hat die ausbeuterische und unsoziale Natur unserer profitorientierten, auf Wettbewerb basierten Wirtschaft nur noch deutlicher gemacht. In diesen schwierigen Zeiten wurde einmal mehr klar: In dieser Wirtschaft gibt es wenige Gewinnende und sehr viele Verlierende.
Großkonzerne der Autoindustrie und Fluggesellschaften bekommen Hilfspakete in Milliardenhöhen während Kleinbetriebe und die Gastronomie, wenn überhaupt, lächerliche Staatshilfen von ein paar Tausend Euro insgesamt erhalten. Die ohnehin schon riesigen Betriebe werden hofiert und mit Steuergeldern bereichert, während die kleinen Betriebe und die Gastronomie um jeden Cent kämpfen müssen.
Das Militärbudget der BRD wurde erst vor kurzem wieder erhöht, während das Kunst- und Kulturwesen eine der schlimmsten Zeiten in diesem Staat erlebt: Viele Kulturschaffende bleiben immer noch ohne Arbeit und müssen zum Teil um ihre Zukunft und ihr Existenzrecht kämpfen, freischaffende und selbstständige Künstler*innen kriegen kaum Hilfen und leben noch prekärer als schon zuvor. In einer Zeit der Krise und Not hat der Staat klar und deutlich gezeigt, dass ihm das Militär und die große Industrie wichtiger sind als die Kultur.
Wir sind der Meinung, dass die Kultur einer der wichtigsten Bausteine einer aufgeklärten, kritischen, und sich stets selbst hinterfragenden Gesellschaft ist. Doch wahrscheinlich wurde sie eben aufgrund dessen, dass sie nicht auf Profitmache aus ist, sondern zur Bildung der Menschen beiträgt, vernachlässigt.
Etliche Teilzeit- und Minijobber*innen haben ihre Arbeit verloren, weil sie für ihre Konzernspitzen, welche ihre Profite sichern wollen, keine Menschen sind, sondern Sparmaßnahmen.
Die Armut der Menschen, die ohnehin schon auf staatliche Gelder angewiesen sind, hat sich nicht verändert, was wiederum zeigt wie wirkungslos der sogenannte Sozialstaat ist. Im Gegenteil, vieles hat sich verschlechtert. Rentner*innen sind oft von selbstorganisierten Nachbarschaftshilfen abhängig, aber auch Arbeitslose haben noch mehr Schwierigkeiten zurzeit einen Job zu finden. Auch die Situation obdachloser Menschen wurde weitgehend schlimmer.
Die von der Regierung als „systemrelevant“ betitelten Arbeitsbereiche haben außer scheinheiliger Anerkennung und Balkon-Klatschen ebenfalls keine Verbesserung von Arbeitsbedingungen, höhere Löhne und ausreichend Infektionsschutz spüren können, obwohl das Bewusstsein über die Notwendigkeit dieser Berufe für ein organisiertes Miteinander steigt. Das Gesundheitswesen wurde über Jahre hinweg kaputtgespart und wird nach und nach privatisiert. Den Pflegekräften mit einem sowieso schon geringen Lohn werden die Arbeitszeiten zusätzlich ohne bessere Bezahlung verlängert.
Unbezahlten Überstunden sind allerdings kein Problem, dass nur in der Pflege vorkommt. Auch Lieferdienste, Leiharbeiter*innen, Supermarktangestellte und viele weitere sind von niedrigen Gehältern, die teilweise unter dem Mindestlohn liegen, und schlechten Arbeitsbedingungen betroffen.
Allgemein wurden und werden die Arbeiter*innenrechte in Deutschland durch etliche neoliberale Reformen immer weiter abgebaut.
Wir können und werden nicht akzeptieren, dass die Milliarden unserer Steuergelder in Lufthansa und sonstige Konzerne und nicht in das öffentliche Gesundheitssystem gesteckt werden!
Dass 80 bis 100 Milliarden Steuern jährlich von Superreichen und riesigen Betrieben hinterzogen werden, während Geld im Sozialen, in der Bildung und der Kultur fehlen!
Dass Streiks sich auf Tarifverhandlungen begrenzen müssen, im öffentlichen Dienst sogar verboten sind, obwohl sie eine der effektivsten Waffen gegen unsoziale Reformen darstellen!
Was wir aber feststellen müssen, ist dass die sozialen Ungerechtigkeiten nicht durch diesen Staat und seine durch Lobbyismus gesteuerte Politik maßgeblich verändern werden.
Deshalb fordern wir:
Die Abschaffung des jetzigen Staatssystems und den Aufbau einer regional und kommunal organisierten, direktdemokratischen Politik, in der jeder Mensch herrschaftsfrei über das gemeinsame Zusammenleben bestimmen kann.
Das Ende des kapitalistischen Wirtschaftssystems und der Anfang einer solidarischen, auf Bedürfnisse der Gemeinschaft und der darin lebenden Individuen orientierten Wirtschaft, die ebenfalls direktdemokratisch organisiert sein kann.
Um das zu erreichen müssen wir eigenständig die bestehenden Verhältnisse kippen: durch Generalstreiks in allen Arbeitsbereichen, durch Besetzungen von Arbeitsräumlichkeiten, Bildungseinrichtungen, leerem Wohnraum usw. Dort können wir bei Vollversammlungen aufeinandertreffen, uns über Probleme und Bedürfnisse austauschen, um stärker und einheitlicher für eine befreite Gesellschaft zu kämpfen.
Deshalb sind wir heute hier am 1. Mai!