Antifaschistische Jugend Freiburg

Gemeinsam am 8. März

„Die Teilnahme der Frau an den Interessen des Staates ist nicht alleine ein Recht, sie ist eine Pflicht der Frauen“ – Luise Otto-Peters
Damit war sie dem Denken ihrer Zeit ca. 70 Jahre voraus. Erst 1910 forderte Clara Zetkin auf der zweiten sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen einen Frauenkampftag, mit genau diesem Ziel, Frauen die politische Partizipation zu ermöglichen.
Dieser Tag existiert auch heute noch um auf aktuelle Problematiken aufmerksam zu machen und weiterhin für die Gleichberechtigung der Geschlechter zu kämpfen.
Aber hat so ein Tag in unserer heutigen, scheinbar aufgeklärten Gesellschaft überhaupt noch Relevanz? Oder drastischer ausgedrückt: ist Feminismus überhaupt noch notwendig?
Zur Beantwortung dieser Frage muss mensch sich erst einmal damit auseinandersetzen, was Feminismus eigentlich ist/war und welche Rolle er spielt und gespielt hat.

„Feminismus ist ein Oberbegriff für gesellschaftliche, politische und akademische Strömungen und soziale Bewegungen, die basierend auf kritischer Analysen von Geschlechterordnung, für Gleichberechtigung, Menschenwürde und Selbstbestimmung aller Menschen jeglichen Geschlechts sowie gegen Sexismus einsetzen und diese Ziele durch entsprechende Maßnahmen umzusetzen versuchen“, so Wikipedia, doch diese Definition kratzt nur an der Oberfläche dessen, was Feminismus bedeutet (hat) und zeigt, wie viel hinter dem Begriff „Feminismus“ steckt.

Feministische Denkansätze sind so alt wie patriarchale Strukturen selbst, aber erst die französische Revolution hat das Thema nachhaltig ins gesellschaftliche Bewusstsein gerückt und dort verankert. Das allgemeine Frauenbild dieser Zeit ging davon aus, dass Frauen aufgrund ihrer „natürlichen Geschlechtseigenschaften“ einen Mann als Vormund bräuchten und schwach und wehrlos seien.
Im Laufe der französischen Revolution entwickelten damalige Feminist*innen das sogenannte Egalitätskonzept mit der Forderung, Frauen in die Ideen von Freiheit und Gleichheit mit einzubeziehen. Allerdings setzten sich diese Forderungen nicht durch und so blieb Frankreich nach der Revolution bei seinen davor herrschenden patriarchalen Strukturen.

In Deutschland wurde der Feminismus erst Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Beginn der ersten Welle populär. Diese wurde insbesondere am Anfang von bürgerlichen Feminist*innen dominiert, welche sich einen besseren Zugang zu Bildung für Mädchen und Frauen zum Ziel gesetzt hatten um so unabhängiger zu werden. Dieses Ziel erreichten sie, zumindest zum Teil – 1908 wurde die sogenannte „Mädchenschulreform“ verabschiedet und kurz darauf folgte ein Gesetz, das Frauen auch eine Parteimitgliedschaft ermöglichte.

Ab den 1890er, durch das Dazustoßen der proletarischen Frauenbewegung, zählte dann auch das Frauenwahlrecht zu den Forderungen der ersten Welle. Um das zu erreichen wurde auf der zweiten sozialistischen Frauenkonferenz 1910 der Wunsch nach einem internationalen Frauenkampftag laut.
Solch ein Tag fand bereits im März 1908 in den USA ein erstes Mal statt, dort hatten Frauen verschiedenster politischer Orientierungen gemeinsam in New York für bessere Lebensumstände demonstriert und damit bei europäischen Sozialist*innen Anklang gefunden. Und so wurde am 19.03.1911 der erste Frauenkampftag in Dänemark, der Schweiz, Deutschland und Österreich-Ungarn veranstaltet.

In den nächsten Jahren, vor allem während des ersten Weltkriegs, war der Frauenkampftag starken Repressionen ausgesetzt und teilweise sogar illegal, aufgrund der Einstellung gegen Krieg und für Frieden vieler damaliger Feminist*innen. Trotzdem wurde er jedes Jahr begangen, wenn auch oft im Geheimen und mit wechselnden Daten.

Am 12. November 1918 trat das Frauenwahlrecht in Kraft und schien den Frauenkampftag überflüssig werden zu lassen – doch das wurde er nicht. In den folgenden Jahren, während der Weimarer Republik, wurde er sogar zweimal jährlich veranstaltet. Schuld daran war die ideologische Spaltung zwischen KPD und SPD und somit bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung.
Trotzdem folgten beide den gleichen Zielen und Forderungen, wie geringere Arbeitszeiten ohne Lohnkürzungen, Senkungen der Lebensmittelpreise, besserer Schulzugang und legale Schwangerschaftsabbrüche.

Im NS-Regime wurde der Frauenkampftag aufgrund seines sozialistischen Ursprungs und emanzipatorischen Charakters verboten, stattdessen wurde der Muttertag zum gesetzlichen Feiertag, da er dem nationalsozialistischen Frauenbild besser entsprach.
Das Begehen des 8. März wurde während dieser Zeit zu einer Art Erkennungsmerkmal unter Sozialistinnen, Kommunistinnen und Widerständler*innen – rote Tücher wurden aus Fenstern gehangen und Flugblätter verteilt, die zum Widerstand gegen die Nazis aufriefen.

Später, im geteilten Deutschland, wurde der Frauenkampftag sowohl in der DDR als auch in der BRD begangen, wobei er im Osten seinen ursprünglichen sozialistischen Charakter wieder bekam und im Westen mit der Zeit zu einem Tag für Frieden und gegen Aufrüstung wurde.
Ungefähr zeitgleich kam mit den 68ern die zweite Welle des Feminismus auf: Beteiligte Student*innen kritisierten die Bewegung als zu männlich dominiert und patriarchal. Sie versuchten ein feministisches Gegenstück zu den herrschenden andropozentrischen Wissenschaften zu schaffen. Im Kontext des Feminismus der zweiten Welle, fiel auch erstmals der Begriff des „doing gender“, der Geschlecht als soziales Konstrukt begreift und zwischen sex und gender differenziert. Auch wurde zum ersten Mal Kontext zwischen Patriarchat und Kapitalismus geschaffen.
Etwas später, nach der Wende, kamen dann in Deutschland weitere feministische Strömungen auf, hauptsächlich mit Ursprung in den USA. Am bekanntesten sind wohl der black feminism, der Diskriminierung aus einer postkolonialen Perspektive betrachtete und das Konzept der intersections einführte (Diskriminierung passiert aufgrund verschiedener Merkmale, die einander beeinflussen), und der queere Feminismus, welcher vor allem die heteronormativen und geschlechtlich binären Perspektiven des bürgerlichen Feminismus kritisiert.
Trotz all der bewegungsinterten Widersprüche wurde der Frauenkampftag auch nach der Wende regelmäßig jedes Jahr am 8. März veranstaltet. Dabei war die Themensetzung stets unterschiedlich, dieses Jahr steht zum Beispiel Kehrarbeit im Fokus.

Seit dem Beginn der ersten Welle der Frauenbewegung hat sich auf dem Gebiet der Geschlechtergleichberechtigung viel getan und verbessert. Aber gerade in Anbetracht der großen feministischen Erfolge, steht natürlich wieder die Frage im Raum, ob dieser Tag und Feminismus im Allgemeinen bei uns überhaupt noch notwendig sind, wo doch nach landläufiger Meinung Gleichstellung schon erreicht ist oder, wenn man WikiMANNIA Glauben schenken möchte, Frauen* Männern bereits übergeordnet sind?

Unsere Antwort darauf? Ja, wir brauchen Feminismus! Jede 7. in Deutschland lebende Frau* ist bereits Opfer von sexualisierter Gewalt geworden und täglich werden es mehr; rund 70.000 Frauen sind von Genitalverstümmlung betroffen (mensch geht in beiden Fällen von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus) – aber natürlich äußern sich Sexismus, Unterdrückung und patriarchale Strukturen auch in weniger brutalen Formen. Trotzdem ist auch der „gut gemeinte“ Sexismus, den Frauen in Form von Catcalling und Co erleben enorm abwertend. Noch immer existieren Geschlechterrollen, die Menschen schon ab Kleinstkindalter in vorgefertigte Rollen zwingen. Wir müssen immer noch für unser Recht auf Schwangerschaftsabbrüche kämpfen, was uns die Selbstbestimmung über unseren Körper verwehrt. 45% aller von Frauen* verrichteter Arbeit bleibt unbezahlt. Tausende von Mädchen* und Frauen* versuchen, sich bis auf die Knochen herunter zu hungern nur um gängigen Schönheitsidealen zu entsprechen (rund 0,5% aller Frauen* zwischen 12 und 35 Jahren sind von Essstörungen betroffen). Identitäre und Neonazis schreiben sich vermehrt einen vermeintlichen Feminismus auf die Fahnen, der jedoch in keinster Form mit rechten Ideologien vereinbar ist und nur dem Zweck dient, Frauen* auf die eigene Weise unterdrücken zu können und Islamophobie zu schüren, wie zum Beispiel bei der „rechtsfeministische“ Aktionsgruppe 120 dB. Ein sicherlich ebenfalls relevantes Problem ist der kommerzialisierte Pseudofeminismus, der darin besteht, Shirts mit GRL PWR-Aufdruck zu tragen, die von Näherinnen unter entwürdigenden Bedingungen für einen Hungerlohn gefertigt werden, um nur einige Beispiele aus dem fortschrittlich-gleichberechtigten Deutschland zu nennen.
Genauso wie seine Ideen haben sich auch die Strukturen des Feminismus gewandelt. Sie sind stellenweise unsichtbarer geworden, aber das Problem des Sexismus bleibt. Solange Menschen in irgendeiner Form unterdrückt werden ist unsere Gesellschaft nicht frei – Frauen bilden hier keine Ausnahme und es bleibt unsere Aufgabe, für Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und Menschenwürde ALLER Menschen zu kämpfen, am 8. März, genauso wie an allen anderen 364 Tagen des Jahres!

 

Quellen:

https://www.fh-kiel.de/fileadmin/data/sug/pdf-Dokument/Melanie_Gross/carstensen_gross_feminismen.pdf
https://de.wikipedia.org/wiki/Feminismus
https://direkteaktion.org/196-zur-kultur-der-sexuellen-befreiung/
https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/die-geschichten-des-internationalen-frauentages
https://www.lpb-bw.de/08-maerz-frauentag/
http://www.theorie.org/titel/580_feministische_theorie_3_auflage
https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/287033/internationaler-frauentag
https://www.bpb.de/apuz/267936/was-ihr-zusteht-kurze-geschichte-des-feminismus

Zahlen:

https://www.boeckler.de/108549_108559.htm#
https://www.tagesspiegel.de/berlin/studie-zur-genitalverstuemmelung-immer-mehr-frauen-in-deutschland-beschnitten/25103576.html
https://www.frauen-gegen-gewalt.de/de/was-ist-das-187.html